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Traditionelle Rollenmuster und männliche Strukturen prägen den Alltag dieser Frauen. © ndr

«Das männliche Mass bestimmt alles»

fs /  Frauen schildern, wie männlich geprägte Regeln ihren Alltag erschweren. Wirklich gleichberechtigt seien Frauen weiterhin nicht, ist das Fazit.

Sexistische Bemerkungen, Übergriffe, ignorieren weiblicher Kompetenz, gläserne Decke, männliche Netzwerke und festgefahrene traditionelle Rollenbilder: Der Dokumentarfilm «Der kleine Unterschied 2018» des öffentlich-rechtlichen TV-Senders NDR zeigt, dass die deutsche Gesellschaft immer noch weit von der tatsächlichen Gleichberechtigung entfernt ist.

«Irrglaube, dass man alles haben kann»
18 Frauen aus ganz unterschiedlichen Berufsfeldern berichten im Film von ähnlichen Erfahrungen. Friseurin, Polizistin, Köchin, Chirurgin, Top-Managerin und Politikerin mussten im Verlauf ihres Lebens feststellen, dass Frauen gebremst werden, sobald es um Macht geht oder sie Kinder bekommen. Köchin Simone Haselier: «Man wächst heutzutage in dem Irrglauben auf, dass man alles haben kann. Dass man erfülltes Privatleben haben kann mit Familie und beruflich erfolgreich sein kann. Wie wenig unsere Gesellschaft bereit ist, Frauen, Familien diesen Raum einzuräumen, das lernt man erst mit der Zeit.»

«Es geht um Macht»
Die Interviews zeigen, dass Männer in der Arbeitswelt weiterhin das Sagen haben. Die Friseurin leidet wie die Polizistin unter dem herabwürdigen Verhalten ihres Chefs. Die Chirurgin kämpft mit den gleichen Vorurteilen gegenüber Frauen wie die Architektin. Es gehe um Macht, sagt Anna Gallina, grüne Abgeordnete in Hamburg: «Sobald man anfängt, Erwartungen zu stellen, in gewissen Bereichen Einfluss üben zu wollen, wird es schwierig.» Chirurgin Miriam Prang: «Nach einigen Jahren merkt man, man kämpft gegen etwas Unsichtbares.» Ulrike Ley, Beraterin für Führungskräfte: «Es ist leider im Moment noch so, dass das männliche Mass alles bestimmt.»

Männer prägen Arbeitskultur
Die Ratgeber-Literatur empfiehlt Frauen, sich im Beruf den männlichen Regeln von Dominanz und Rangordnung anzupassen. Simone Menne, frühere Lufthansa-Finanzchefin: «Ich finde es fürchterlich, wenn man sich so verbiegt, dass man dann versucht, ein Mann zu werden oder so auszusehen oder auch so zu reden.» Frauen müssten sich mehr zutrauen, sagt Menne. Sie habe Frauen erlebt, die nicht so zielstrebig waren wie Männer: «Sie haben häufig gesagt, ’ich weiss nicht, ob ich das kann’». Andere hätten ihre Absage damit begründet, dass sie sich einen anforderungsreichen Führungsjob nicht antun möchten. Politikerin Anna Gallina sagt, man müsste die Arbeitskultur verändern. Ihr sei aber nicht klar, wie Frauen das erreichen können.

«Wir müssen wieder darüber reden»
Seit Alice Schwarzer für das Standardwerk «Der kleine Unterschied und seine grossen Folgen» vor über 40 Jahren Frauen über ihr Alltagsleben befragte, hat sich viel verändert. Aus den Aussagen der heute befragten Frauen geht jedoch hervor, dass insbesondere alte Rollenbilder geblieben sind. Frauen seien längst nicht so weit, wie sie gerne möchten, sagt Filmautorin Pia Lenz: «Alte Rollenmuster aufzubrechen ist viel anstrengender, lästiger, schmerzhafter als wir dachten. So leid es uns tut: Wir müssen wieder darüber reden.»


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