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Wer ein Kondom gegen den Willen der Frau entfernt, macht sich strafbar. © TS

«Julian Assange verletzte meine Grenzen»

fs /  Das heimliche Entfernen des Kondoms nehmen viele nicht als Form der Gewalt wahr. Nur ein Straftatbestand kann dies ändern, sagen Fachfrauen.

In den USA hat Kalifornien kürzlich als erster Bundesstaat das heimliche Abziehen des Kondoms beim Geschlechtsverkehr explizit verboten. Die Reform betrifft das Zivilrecht und nicht das Strafrecht. Täter müssen also lediglich damit rechnen, auf Schadenersatz verklagt zu werden. In anderen Ländern wird das heimliche Entfernen des Kondoms mit Straftatbeständen wie «Schändung» oder «sexueller Übergriff» geahndet und damit sprachlich verschleiert. Entsprechend gering ist das Bewusstsein für diese Form der sexuellen Gewalt.

Aussage gegen Aussage
Für weltweites Aufsehen sorgte vor zehn Jahren die Schwedin Anna Ardin, als sie Wikileaks-Gründer Julian Assange vorwarf, beim Sex das Kondom heimlich zerrissen zu haben. Sie verlangte, dass er einen Aids-Test machen muss. Er lehnte ab und bestritt ihre Anschuldigungen. Der Rest ist bekannt: Assange befürchtete, an die USA ausgeliefert zu werden, weil er über Wikileaks Kriegsverbrechen der USA öffentlich gemacht hatte. Er floh nach London und suchte Zuflucht in der ecuadorianischen Botschaft. Diese musste er 2019 verlassen und ist seither in Grossbritannien inhaftiert.

Opfer sexueller Gewalt
Weniger bekannt ist, wie es Anna Ardin erging. In ihrem Buch «Im Schatten von Assange», das kürzlich auf Deutsch erschienen ist, beschreibt sie in Tagebuchform, was aus ihrer Sicht damals geschah. Danach war der Sex mit Assange nur am Anfang einvernehmlich. Während des Geschlechtsverkehrs habe er das Kondom zerrissen und sie damit der Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft und einer HIV-Infektion ausgesetzt. Sie habe ihn deshalb zu einem HIV-Test zwingen wollen, aber sie habe nie gewollt, dass er ins Gefängnis kommt oder an die US-Justiz ausgeliefert werde, sagte sie kürzlich in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger». Sie sei weder eine CIA-Agentin noch habe sie berühmt werden wollen, wie man ihr bis heute vorwirft. Sie sei ein Opfer sexueller Gewalt und habe den Mann zur Verantwortung ziehen wollen, der ihre Grenzen verletzte und sie gesundheitlichen Risiken aussetzte.

Jobverlust und Flucht ins Ausland
Für sie sei es eine sehr schwierige Zeit gewesen, sagte sie dem «Tages-Anzeiger». Selbst enge Freundinnen und Freunde, Parteikollegen und -kolleginnen hätten sich von ihr abgewendet und sie habe ihren Job verloren. Wegen der massiven Drohungen habe sie zeitweise unter anderem Namen im Ausland leben müssen. Der Gang zur Polizei sei damals richtig gewesen. Sie habe zeigen wollen, dass auch ein mutiger und international bekannter Mann im Privaten seine Macht missbrauchen könne. Assange habe sich in der Öffentlichkeit ganz anders verhalten als mit ihr im Bett, sagte sie schwedischen Medien. «Die Verdienste von Wikileaks mit Assanges persönlichem Verhalten zu vermengen, ist falsch.»

Täter-Opfer-Umkehr
Kritiker werfen Ardin bis heute vor, unglaubwürdig und schuld an der jetzigen Situation von Assange zu sein. Diese Täter-Opfer-Umkehr ist eine klassische Taktik gegenüber Frauen, die prominente Männer wegen eines Sexualdeliktes zur Verantwortung ziehen. Ardin wird bis heute beschimpft und bedrohtDa es nie ein Gerichtsverfahren gab, wurde nur in der Öffentlichkeit über die Ereignisse verhandelt. Und da haben Frauen meist schlechtere Karten, sagt Ardin: «Das ist einer der Gründe, weshalb so viele Frauen darauf verzichten, ein Sexualdelikt überhaupt anzuzeigen – weil sie sonst öffentlich als Hexen, Rächerinnen oder Hysterikerinnen diffamiert werden.» 

Verletzung der körperlichen Autonomie
Das heimliche Entfernen des Kondoms nehmen viele nicht als Form der Gewalt wahr. Die US-Juristin Alexandra Brodsky fordert deshalb seit Jahren einen speziellen Straftatbestand. Diese Form der Gewalt sei eine klare Verletzung der körperlichen Autonomie. Nur ein Straftatbestand könne dies allen klar machen, schrieb Brodsky vor einigen Jahren in ihrer Studie «Rape Adjacent». Geschlechtsverkehr, der wider Willen ungeschützt erfolgt, ist laut Brodsky eine weit verbreitete Form der Gewalt. Allerdings spreche kaum jemand darüber und es gebe auch keinen rechtlichen Begriff für dieses Delikt. 

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