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Das Kopftuch sei während des Unterrichtes keine störende Bekleidung, heisst es im Urteil. © LI

Kopftuch ist belanglose «Äusserlichkeit»

/  In der Schweiz hat ein Gericht das Kopftuchverbot für eine Schülerin aufgehoben. Jetzt liegt die ausführliche Begründung vor.

Das Urteil hatte vergangenen November schweizweit für Kontroversen gesorgt. Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen hatte eine Beschwerde bosnischer Eltern gegen das Kopftuchverbot der Schule in St.Margrethen gutgeheissen. Die Eltern vertreten eine fundamentalistische Auslegung des Korans.
Fundamentalisten widerstehen
In der ausführlichen Urteilsbegründung heisst es, dass die Schulgemeinde St.Margrethen zu Recht darauf hinweise, dass die Integration von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und Kultur verlange, sich an bestimmte gemeinsame Regeln anzupassen. Fundamentalisten sei jedoch mit «wohlmeinender Konsensrhetorik oder ritueller Grundwertebeschwörung» nicht angemessen zu begegnen. «Wer die liberale Demokratie verteidigen will, ist deshalb gut beraten, sich nicht in eine falsche Entgegensetzung von ’laizistischem Staat’ und ’fundamentalistischer Religion’ drängen zu lassen», heisst es im Urteil.
«Kultur der Toleranz» stärken
Vielmehr müsse es darum gehen, eine «Kultur der Toleranz» zu stärken. «Integration kann nicht gelingen, wenn sich die Gesellschaft bereits von Äusserlichkeiten aufhalten lässt, die für ein friedliches Zusammenleben in gegenseitigem Respekt belanglos sind.» Das Zusammenleben von verschiedenen Kulturen und Religionen in einer Gesellschaft verlange angepasstes, aber nicht uniformes Verhalten. Das Kopftuch sei auch während des Unterrichtes eine «objektiv» nicht störende Bekleidung. «Integration kann nicht gelingen, wenn sich die Gesellschaft bereits von Äusserlichkeiten aufhalten lässt, die für ein friedliches Zusammenleben in gegenseitigem Respekt belanglos sind.»
Bisher kein Grundsatzurteil
Die Schulgemeinde St.Margrethen muss noch im Januar entscheiden, ob sie das Urteil ans Bundesgericht weiterzieht. Das Höchstgericht hat im Sommer 2013 entschieden, dass für ein Kopftuchverbot eine Schulordnung als rechtliche Basis nicht genüge. Es brauche eine gesetzliche Grundlage. Laut dem Verwaltungsgericht St. Gallen liegt diese im Fall St. Margrethen vor, da die Schulordnung dem fakultativen Referendum unterstanden habe. Einen Grundsatzentscheid zum Kopftuchverbot für Schülerinnen hat das Bundesgericht bisher nicht gefällt.
Das Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen im Kanton Genf hat das Bundesgericht vor über 15 Jahren geschützt. Die Neutralitätspflicht des Staates sei höher zu gewichten als das Recht der Lehrerin auf Religionsfreiheit. Das Höchstgericht erklärte das Verbot jedoch nicht zur landesweiten Norm.

Europaweit sind Kopftuchverbote für Schülerinnen seltener als für Lehrerinnen. Frankreich verbietet das Kopftuch Schülerinnen und Lehrerinnen. In Deutschland dürfen Lehrerinnen an öffentlichen Schulen in einigen Bundesländern kein Kopftuch tragen.
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Nachtrag

Die Schulgemeinde St. Margrethen zieht das Urteil des Verwaltungsgerichtes weiter ans Bundesgericht. Damit wird das Höchstgericht erstmals über ein Kopftuchverbot für Schülerinnen entscheiden. Die Schulgemeinde begründet die Berufung damit, dass das öffentliche Interesse an der Integration höher zu gewichten sei als die verfassungsmässig garantierte Religionsfreiheit. Das Kopftuch sei ein «Symbol für eine fundamentalistische Auslegung des Islam und damit ein Integrationshindernis». Es dürfe nicht aus «falsch verstandener Toleranz» erlaubt werden.
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