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«Mein Körper, meine Entscheidung»: Das wollen christliche Fundamentalisten verhindern. © agovox

Christliche Fundamentalisten attackieren Frauenrechte

fs /  Die religiöse Überzeugung soll wichtiger als Frauenrechte sein. Das ist eines der politischen Ziele christlicher Fundamentalisten.

Nach den Attentaten in Frankreich, Österreich und Deutschland war diesen Herbst viel vom «politischen Islam» die Rede. Doch als das Verfassungsgericht in Polen Abtreibungen praktisch verbot, sprach kaum jemand vom «politischen Christentum». Frauen sollen selbst nicht lebensfähige Föten austragen und gebären müssen, damit diese getauft und beerdigt werden können, sagte der katholische Regierungschef Jaroslaw Kaczynski. Polnische Aktivistinnen sprachen von «seelischer und körperlicher Folter».

Erfolge in den USA
Das Beispiel Schwangerschaftsabbruch zeigt: Christliche Fundamentalisten wollen wie Fundamentalisten anderer Religionen ihr Welt- und Menschenbild anderen aufzwingen. In den USA haben auf Druck christlicher Fundamentalisten zahlreiche Bundesstaaten in den vergangenen Jahren die Hürden für einen legalen Schwangerschaftsabbruch erhöht. Diese schrecken auch nicht davor zurück, Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, zu bedrohen und zu ermorden, und abtreibungswillige Frauen vor Kliniken einzuschüchtern. Mit Vizepräsident Mike Pence und Aussenminister Mike Pompeo hatten christliche Fundamentalisten wichtige Ämter in der abgewählten US-Regierung inne.

Erfolge in Europa
Ähnliches Bild in Europa: Konservative Politiker verbünden sich mit religiösen Fundamentalisten, um konservative und gläubige Wähler an sich zu binden. Für ihre politischen Ziele gehen christliche Fundamentalisten auf die Strasse und vor Gerichte. Sie belagern Kliniken und gynäkologische Praxen. Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, werden unter Druck gesetzt, bedroht und angezeigt. In Deutschland hat sich ihre Zahl zwischen 2003 und 2019 nach Angaben des Statischen Bundesamtes fast halbiert. Ein Grund ist auch fehlender Nachwuchs. Schwangerschaftsabbruch ist kein verpflichtender Teil der Ausbildung in Gynäkologie. In Italien verweigern immer mehr Ärztinnen und Ärzte Abbrüche aus Gewissensgründen. Auch andernorts erlauben es Gesetze Ärztinnen und Ärzten, Frauen einen Abbruch aus Gewissensgründen zu verweigern. Vielerorts werden Frauen weitere Hürden in den Weg gelegt. Dazu gehören eine Zwangsberatung vor einem Schwangerschaftsabbruch oder fehlender Zugang zu Informationen. So ist in Deutschland die Ärztin Kristina Hänel verurteilt worden, bloss weil sie auf ihrer Webseite über Schwangerschaftsabbrüche informiert hat. Möglich ist all dies, weil Deutschland, Italien und die meisten anderen Länder Abtreibungen nie vollständig entkriminalisiert haben.

Vorstösse in Österreich und der Schweiz
Doch der Trend geht nicht Richtung Entkriminalisierung, im Gegenteil. Weltweit verschärfen Regierungen unter dem Druck christlicher Fundamentalisten Abtreibungsgesetze, auch in Europa. Norwegen hat letztes Jahr erstmals seit 40 Jahren das Abtreibungsrecht verschärft. Treibende Kraft war die an der Mitte-Rechts-Regierung beteiligte Christliche Volkspartei. In Österreich haben fundamentalistische Christen die Bürgerinitiative #Fairändern lanciert, um reproduktive Rechte von Frauen auszuhöhlen. Auch Abgeordnete der konservativen Parteien ÖVP und FPÖ haben sie unterschrieben. In der Schweiz fordern Nationalrätin Yvette Estermann von der konservativen SVP und ihr Parteikollege und Abtreibungsgegner Erich von Siebenthal in Motionen, Abbrüche zu erschweren.
Die Regierung sieht keinen Handlungsbedarf. Das Parlament hat beide Vorstösse noch nicht behandelt.

«Natürliche Ordnung wiederherstellen»
Vor zwei Jahren haben Mitglieder des EU-Parlamentes aufgedeckt, dass sich christliche Fundamentalisten über Konfessionsgrenzen hinweg in Europa vernetzt haben, um Frauenrechte einzuschränken. Im Manifest «Restoring the natural order» haben sie christlich-fundamentalistische Ziele und Strategien festgelegt. Sie geisseln Emanzipation, sexuelle und reproduktive Rechte für alle Menschen als «perverse Ideologie» der westlichen Gesellschaft. Homosexualität wird als Sodomie bezeichnet. «Agenda Europe» will die «natürliche Ordnung» wiederherstellen und europaweit liberale Gesetze blockieren oder rückgängig machen. Sexualkundeunterricht, Verhütung, Abtreibung, Scheidung und die gleichgeschlechtliche Ehe sollen verboten werden. Eine Abtreibung soll auch nach einer Vergewaltigung und wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist, nicht mehr erlaubt sein. In Polen haben die christlichen Fundamentalisten dieses Ziel bald erreicht.


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