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In Scheidungsfällen sind Vorwürfe an Mütter nicht neu: «Der Spiegel» 2015 (links) und 1980 (rechts). © Spiegel

Zeitung zementiert Klischee der bösen Scheidungsmutter

fs /  Eine renommierte Zeitung verbreitet einseitig die Sicht eines Vaters, dessen Ex-Frau ihm die Kinder angeblich entfremdet hat. Ein beispielhafter Fall aus der Schweiz.

Väter wollen sich auch nach der Scheidung um ihre Kinder kümmern. Doch rachsüchtige Mütter machen es ihnen schwer. Und die Behörden unterstützen sie dabei. Dieses Klischee ist in Kreisen populär, die Väter – und Männer im Allgemeinen – als Verlierer der Gleichstellung sehen. Mit dem «Tages-Anzeiger» hat eine renommierte Schweizer Tageszeitung dieses Klischee unkritisch weiterverbreitet.

Mutter am Pranger
Im konkreten Fall ging es um ein Ehepaar, das im Streit auseinandergegangen war. Der «Tages-Anzeiger» schilderte Anfang Juli, dass die Kinder den Kontakt zum Vater abgebrochen haben. Es handle sich um ein «Paradebeispiel einer forcierten Entfremdung», schrieb die Redaktorin, und prangerte damit einseitig die Mutter an. Doch die Journalistin hatte sich nur auf Unterlagen gestützt, die sie vom Vater bekommen hatte. Diese waren unvollständig und einige Informationen auch falsch, wie später die «Schaffhauser AZ» herausfand.

Stellungnahme des Ombudsmannes «irritiert»
Die Mutter reichte Beschwerde ein beim Ombudsmann des «Tages-Anzeigers». Die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) bekam Einsicht in das Schreiben des Ombudsmannes und zeigte sich «irritiert». Der Ombudsmann verlange von der Journalistin nicht, dass sie gegenüber dem Vater hätte kritisch bleiben sollen. Stattdessen schreibe er, die Journalistin habe davon ausgehen können, dass der Vater ihr keine Informationen vorenthält.

Die Mutter kam in den Online-Kommentaren schlecht weg. Doch auch in diesem Punkt sieht der Ombudsmann des «Tages-Anzeigers» seinen Auftraggeber nicht in der Pflicht. Anders die «NZZ»: «Wenn ein Medium sein Publikum mit falschen Informationen irreführt, trägt es eine Mitverantwortung für den Tenor der Leserkommentare.»

Vorwürfe an die Mutter
Der Ombudsmann des «Tages-Anzeigers» wirft der Mutter vor, nicht sofort auf eine Anfrage der Journalistin reagiert zu haben. Angesichts des komplizierten Falles sei das Schweigen der Mutter verständlich, schreibt die «NZZ». Und: Als Privatperson habe sie keine Auskunftspflicht.

Die Identität der Mutter war im Artikel des «Tages-Anzeigers» zwar verschleiert, aus ihrer Sicht jedoch ungenügend. Deshalb legte sie in der «Schaffhauser AZ» ihre Sicht der Dinge dar. Damit habe sie von sich aus Privates preisgegeben, kritisiert der Ombudsmann.

Identität der Mutter preisgegeben
AZ-Co-Redaktionsleiter Marlon Rusch sagte auf Anfrage von persoenlich.com, dass der Vater die Mutter bei Politikerinnen und Politikern bereits angeschwärzt hatte, als er zum «Tages-Anzeiger» ging: «Mehrere Personen sagten gegenüber der AZ, den Fall und die Identität der Frau erkannt zu haben nach Lektüre des Tages-Anzeiger-Artikels.» Mit dem Artikel in der AZ sei der Kreis derjenigen, welche die Mutter identifizieren konnten, «nicht wesentlich» grösser geworden. «Die Mutter fand sich ungerecht behandelt. Sie wollte die Angelegenheit richtigstellen, auch wenn sie das ein weiteres kleineres Stück ihrer Anonymität kostete.»

Immerhin: Der Ombudsmann des «Tages-Anzeigers» stellte der Mutter in Aussicht, inhaltliche Fehler zu korrigieren. Offen ist, wann dies geschieht.


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