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Geschlechtsspezifische Diffamierungen im Netz demotivieren Frauen, sich öffentlich zu äussern. © ndr

Gezielte Kampagnen gegen Politikerinnen

fs /  Annalena Baerbock wird online anders attackiert als Robert Habeck, weil sie eine Frau ist. Sie ist kein Einzelfall. Das hat Folgen für Politik und Demokratie.

Die Kanzlerkandidatin der Grünen in Deutschland wird online mit Hass überschüttet, der auf ihr Geschlecht zielt. Sie sei unqualifiziert, dumm, aber gut im Bett, heisst es etwa. Von Annalena Baerbock kursiert im Internet auch ein gefälschtes Nacktbild mit der Legende: «Baerbock und die Jugendsünde: Ich war jung und brauchte das Geld». Über Parteikollege Robert Habeck werden im Netz ebenfalls Lügen verbreitet. Doch diese sind meist weder geschlechtsspezifisch noch sexualisiert. Der Hass gegen Baerbock sei «unerträglich», sagte Habeck dem Sender Südwestrundfunk (SWR).

«Frauen zum Schweigen bringen»

Geschlechtsspezifische Desinformationen wie gefälschte Nacktbilder sind ein beliebtes Mittel, um den Ruf von Politikerinnen zu beschädigen und sie aus der Politik zu verdrängen. Betroffen waren beispielsweise die frühere kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovi, die ukrainische Abgeordnete Switlana Salischtschuk und die ruandische Präsidentschaftskandidatin Diane Rwigara. Diese sagte gegenüber dem US-TV-Sender CNN: «Es ist eine von vielen Taktiken, die verwendet wurden, um mich zum Schweigen zu bringen.» 

Es geht um Macht

Eine Analyse der letzten Wahl in den USA zeigt, dass Kandidatinnen auf Facebook und Twitter eher aufgrund ihres Geschlechtes und persönlicher Merkmale beschimpft wurden, Männer eher wegen ihrer politischen Ansichten. Hasskampagnen betrafen Kandidatinnen häufiger als Kandidaten. Schlussendlich gehe es um Macht, sagte der Psychologe Gerd Bohner von der Universität Bielefeld der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»: «Das wesentliche Motiv bei sexueller Beleidigung ist das Machtmotiv. Männer zeigen Frauen damit, dass sie nicht viel zu sagen haben, dass es eine Hierarchie gibt, in der sie unten stehen.»

Traditionelle Vorurteile gegenüber Frauen 

Hasskampagnen basieren auf traditionellen Geschlechterklischees. Politikerinnen werden im Schutz der Anonymität beispielsweise als dumm, unfähig, emotional, labil, unsympathisch und sexualisiert diffamiert. Desinformationen verbreiteten sich in den sozialen Medien besonders rasch, wenn sie Vorurteile gegenüber Frauen bestätigen, sagte Mona Lena Krook, Politologin an der Rutgers University (USA), der «New York Times»: «Wenn die Menschen nicht kritisch sind und kurz überlegen, ob eine Information oder ein Bild echt ist, wird deren Wirkung am Ende verstärkt.»

«Fatale Konsequenzen für Demokratie»

Geschlechtsspezifische Diffamierungen im Netz senken die Bereitschaft von Frauen, sich öffentlich zu äussern und an Debatten teilzunehmen, sagte Gender-Expertin Lucina Di Meco der «New York Times». Als frühere Mitarbeiterin des «Partito Democratico» in Italien sei sie selber betroffen gewesen. Die Auswirkungen von Hasskampagnen müsse man sehr ernst nehmen. Denn nun seien erstmals junge Frauen betroffen, die Lust auf ein politisches Amt haben und von Beginn an zu spüren bekommen, dass man sie gewaltsam daran hindern will. Diese Ansicht teilt Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin der Beratungsstelle HateAid in Deutschland. Sie sprach gegenüber der «Tagesschau» von «gezieltem geschlechtsspezifischem Silencing»: «Dies hat im Ergebnis fatale Konsequenzen für unsere Demokratie. Eine gesunde Demokratie funktioniert nur, wenn sich alle im Netz sicher dabei fühlen, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen.»

Soziale Medien zur Verantwortung ziehen

Fachfrauen fordern, dass man die Sozialen Medien für die Verbreitung von Desinformationen und Drohungen zur Verantwortung zieht. Letztes Jahr riefen 100 Parlamentarierinnen aus aller Welt Facebook auf, manipulierte Bilder und Videos von Politikerinnen zu entfernen und Beiträge mit geschlechtsspezifischen Desinformationen und Gewaltdrohungen gegen Politikerinnen zu löschen: «Solche Taktiken, die auf ihrer Plattform für niederträchtige Zwecke verwendet werden, sollen Frauen zum Schweigen bringen und letztendlich unsere Demokratien untergraben.» Den Brief unterschrieben auch Politikerinnen aus Deutschland, Österreich und Italien.

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