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Häusliche Gewalt: Die Polizei informiert die Öffentlichkeit nur über wenige Fälle. © EU

Polizei berichtet zu selten über häusliche Gewalt

fs /  Die Polizei informiert viel häufiger über Verkehrsunfälle als über häusliche Gewalt. Das verzerrt die öffentliche Wahrnehmung.

Im Kanton Bern gab es laut Kriminalstatistik in den Jahren 2013 und 2014 zusammen über 2600 Einsätze wegen häuslicher Gewalt. Eine Medienmitteilung verfasste die Polizei nur über 3 Fälle (0,1 Prozent). Im gleichen Zeitraum gab es 11’700 Verkehrsunfälle und -delikte. Darüber informierte die Polizei in über 700 Mitteilungen (6 Prozent). Dies geht aus einer Analyse der Zeitung «Bund» hervor. Danach hätte die Polizei jeden fünften Tag eine Meldung zu häuslicher Gewalt veröffentlichen müssen, wenn sie so häufig wie über Verkehrsunfälle informiert hätte.

Polizei beruft sich auf Opferschutz
Die Polizei begründet die zurückhaltende Information in Fällen häuslicher Gewalt mit dem Opferschutz. Auch eine Meldung ohne genaue Details ermögliche es, Personen zu identifizieren, sagte Kommunikationschefin Daniela Sigrist gegenüber dem «Bund». Das könne Opfer und Dritte abschrecken, die Behörden einzuschalten. Sigrist verweist auf die jährliche Kriminalstatistik, die über die Fälle häuslicher Gewalt informiere.
Bei Verkehrsunfällen gibt es laut Sigrist ein «Interesse der Öffentlichkeit». Sie seien gut sichtbar und oft mit Verkehrsbehinderungen verbunden. Es gebe zudem oft Anfragen von Medien, die Meldungen über Unfälle aus der Bevölkerung erhalten haben. Eine Information der Polizei könne auch der Prävention dienen, wenn zum Beispiel die Strassenverhältnisse gefährlich seien.

«Häusliche Gewalt wird nicht wahrgenommen»
Nadja Capus, Professorin für Strafrecht und Kriminologie, kritisierte im «Bund», dass häusliche Gewalt in der Berichterstattung der Polizei fast nicht vorkommt. Mit ihrer Kommunikation präge die Polizei Normvorstellungen, was als kriminell gelte und was nicht: «Im Extremfall kann häusliche Gewalt in der öffentlichen Wahrnehmung unter den Tisch fallen.» Das könne dazu führen, dass Opfer sich nicht als Opfer wahrnehmen und Dritte es unterlassen, die Polizei zu rufen. Dabei sei die Polizei gerade bei Delikten in der Privatsphäre auf solche Meldungen angewiesen. Die Polizei dürfe sich nicht von der Politik oder den Medien instrumentalisieren lassen und müsse auch über «unpopuläre» Delikte angemessen informieren, sagt Capus.

Medienarbeit verzerrt Realität
Der «Bund» kritisiert in einem Kommentar, dass die Polizei mit ihrer Medienarbeit die Realität verzerrt darstelle. Das habe negative Auswirkungen auf den Schutz der Bevölkerung. Über Einbrüche informiere die Berner Kantonspolizei jeden Monat zusammenfassend, wie viele Fälle es gegeben hat. Das könnte sie auch in Fällen häuslicher Gewalt tun, ohne damit die Opfer zu gefährden. «Nachbarn könnten eher aufmerksam werden, und potenzielle Belästiger fühlten sich stärker beobachtet, wenn ihnen bewusst wäre, dass die Polizei täglich wegen solcher Delikte ausrückt.»


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