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Bei Sexualdelikten ist die Freispruchquote hoch. © dbb

Viele Freisprüche für Vergewaltiger

fs /  Vergewaltigungsprozesse enden überdurchschnittlich oft mit einem Freispruch. Ein Kriminologe macht dafür die öffentliche Aufmerksamkeit verantwortlich.

In Deutschland sprachen Gerichte 2015 insgesamt über 940’000 Angeklagte ein Urteil. In 27’000 Fällen war dies ein Freispruch. Dieser Anteil von 3 Prozent ist seit Jahren stabil. Markant höher war 2015 der Freispruchanteil von 25 Prozent bei Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen. Diese Freispruchquote ist auch deutlich höher im Vergleich zu anderen Delikten mit überdurchschnittlicher Freispruchquote wie Raub (9 Prozent) und Tötungsdelikten (8 Prozent). Dies geht aus einer Studie des Kriminologen Jörg Kinzig hervor, berichtet die «Süddeutsche Zeitung».

Schwierige Beweislage
Kinzig vertritt die These, dass die überdurchschnittlich hohe Freispruchquote bei Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen auf eine gestiegene öffentliche Aufmerksamkeit für diese Delikte zurückzuführen ist. Bei Sexualdelikten ist die Beweislage oft schwierig, weil Aussage gegen Aussage steht. Aufgrund von Fallanalysen sagt Kinzig, heute erhebe die Justiz auch in Fällen, die früher wegen fehlender Beweise eingestellt worden wären, Anklagen und führe Prozesse. Wegen der schwierigen Beweislage endeten viele dieser Prozesse dann mit einem Freispruch.

Freispruchquote verdoppelt
Ein weiteres Indiz für seine These ist laut Kinzig, dass in Deutschland die Freispruchquote für andere Delikte stabil ist. Hingegen hat sie sich bei den Sexualdelikten in den vergangenen beiden Jahrzehnten fast verdoppelt. Im gleichen Zeitraum ist die öffentliche Aufmerksamkeit für diese Delikte gewachsen, es wären also eher weniger Freisprüche für mutmassliche Vergewaltiger zu erwarten gewesen.

«Viele Quasi-Freisprüche»
Im Unterschied zu den Sexualdelikten stellt die Justiz laut Kinzig viele andere Anklagen vorzeitig ein. Hinter der scheinbar niedrigen durchschnittlichen Freispruchsquote bei anderen vermuteten Delikten verberge sich eine Vielzahl von Verfahren, die schon vor einem Prozess beendet werden. So stellen die Staatsanwaltschaften in Deutschland rund 60 Prozent aller Verfahren ein. Und die Strafgerichte verfügen in einem Viertel der Fälle, die bis zu ihnen gelangen, eine Einstellung. Das seien «viele kleine Quasi-Freisprüche», bevor es zu einem Urteil kommt, kommentiert die «Süddeutsche Zeitung».


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