Kanada: Gesichtsschleier ist vor Gericht zulässig

fs /  In Kanada dürfen Frauen, die vor Gericht aussagen, in bestimmten Fällen ihr Gesicht verhüllen.

Dieses Grundsatzurteil hat der Oberste Gerichtshof mit knapper Mehrheit gefällt. Die Gerichte müssten im Einzelfall zwischen der Religionsfreiheit und dem Recht auf einen fairen Prozess abwägen.
Das Höchstgericht hatte den Fall einer Muslimin zu beurteilen, die von ihrem Onkel und ihrem Cousin als Kind sexuell missbraucht worden war. Sie wollte während ihrer Aussage vor Gericht aus religiösen Gründen den Ganzkörperschleier Nikab tragen, der nur einen Sehschlitz offen lässt. Die Angeklagten lehnten dies mit dem Argument ab, sie hätten das Recht, die Mimik der Zeugin zu sehen. Die Anwälte der Frau verwiesen auf die Religionsfreiheit und warnten, dass muslimische Frauen sexuelle Übergriffe nicht mehr anzeigen, wenn sie vor Gericht ihr Gesicht zeigen müssen.
Das Höchstgericht hat den Fall nun an die Vorinstanz zurückgewiesen. Diese muss klären, ob es einen Weg gibt, das Recht auf Religionsfreiheit der Frau und das Recht der Angeklagten auf einen fairen Prozess zu vereinbaren. Das sei unmöglich, sagte Beverley McLachlin, Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes. Die beiden Rechte seien zu gegensätzlich. Ihr Kollege Morris Fish, der ebenfalls zur unterlegenen Minderheit des Höchstgerichtes gehörte, sagte, kein Anwalt eines An-geklagten werde zustimmen, dass eine Zeugin mit verhülltem Gesicht aussage.
Québec verbietet Burka in Wahllokalen
Unter kanadischen Muslimen ist das Urteil umstritten. Liberale Muslime sagen, der Islam schreibe den Gesichtsschleier nicht vor und damit gebe es keinen Grund, ihn vor Gericht nicht abzunehmen. Sie kritisieren, dass das Höchstgericht mit seinem Urteil nun festgestellt hat, dass Frauen den Gesichtsschleier aus religiösen Gründen tragen können. Konservative Muslime hingegen begrüssen das Urteil. Nun könne keine Frau mehr gezwungen werden, vor Gericht ihr Gesicht zu zeigen.
In Kanada dürfen Frauen in der Öffentlichkeit den Nikab und die Burka tragen. Dieses Recht steht jedoch unter Druck. So hat die konservative Regierung vor einem Jahr ein Gesetz verabschiedet, das die Burka während Einbürgerungsfeiern verbietet. Frauen, die den Eid auf ihre neue Heimat ablegen, müssen ihr Gesicht zeigen. Die französischsprachige Provinz Québec hat die Burka für Staatsangestellte und in Wahllokalen verboten.
In Österreich hat vor einigen Jahren ein Gericht eine völlig verschleierte Angeklagte vom Verfahren ausgeschlossen, weil ihre Mimik nicht sichtbar war. Sie hatte sich geweigert, ihre Burka im Gerichtssaal abzunehmen. Der Oberste Gerichtshof hat ihren Ausschluss vom Verfahren später nicht kritisiert.


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