Sanorwk

Sandra Norak kritisiert die Legalisierung der Prostitution. © dw

«Staatlich tolerierter Missbrauch»

fs /  Sandra Norak gelang nach sechs Jahren der Ausstieg aus der «freiwilligen» Prostitution. Seither fordert sie vom Staat, den Kauf von Frauen zu verbieten.

In Deutschland ist Prostitution eine legale Erwerbsarbeit. Sandra Norak war jung und labil, als ein älterer Mann die Gymnasiastin emotional abhängig machte und sie von ihrem Beziehungsnetz isolierte. Weil er angeblich in Geldnot war, sollte sie sich für kurze Zeit prostituieren. Sie überwand Ekel und Angst und war bald in einem System gefangen, «in dem man irgendwann aufhört, sich als Mensch zu fühlen». Erst Jahre später gelang der heute 29-Jährigen der Ausstieg. Am «3. Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen» machte Norak kürzlich dem deutschen Staat schwere Vorwürfe. Er habe mit der Legalisierung den Sexkauf bagatellisiert und normalisiert, statt ihn als Verletzung der Menschenwürde zu verurteilen und zu verbieten.

Normalisierung der Prostitution
Der Mann meinte zu Norak, Prostitution sei normal und ein Job wie jeder andere. Norak: «Das ist auch die Ansicht unseres Staates, der Prostitution in unserem Land als Job ansieht. Zuhälter und Bordellbetreiber treten in ‘seriösen‘ Talkshows auf und werden als Geschäftsleute bezeichnet statt als Kriminelle. Dieses Bild von der Normalität der Prostitution vermittelt unser Staat durch seine Gesetzgebung. Deshalb konnte ich – und viele andere Frauen – noch weniger sehen, dass wir auf dem Weg waren, in ein kriminelles Gewaltmilieu abzurutschen.» Der Staat habe eine Verantwortung, insbesondere für junge und verletzliche Menschen, sagt Norak. «Hätte man mir damals gesagt: ‘Prostitution ist gefährlich, gewalttätig und eine Verletzung der Menschenwürde‘, hätte dieser Menschenhändler es schwerer gehabt, mich in die Prostitution zu bringen. Ich wäre gewarnt gewesen.»

«Prostitution macht immer etwas mit Menschen»
Prostitution sei keine Arbeit, sondern eine Verletzung der Menschenwürde, sagt Norak. «Sie macht immer etwas mit einem. Egal, ob ein Mensch vermeintlich einwilligt oder nicht.» Man werde von einem fremden Menschen berührt und penetriert, halte still und unterdrücke Gefühle wie Schmerz, Widerstand, Trauer und Ekel. «Diese ungewollte Penetration bedeutet eine permanente Demütigung und Entmenschlichung. Man hört irgendwann auf, sich als fühlender Mensch wahrzunehmen. Es ist eine Art Zerstörung der eigenen Identität – ein Grund, warum viele in der Prostitution bleiben.»

Verlust der Würde erschwert Ausstieg
In diesem Zustand leiste man keinen Widerstand mehr. Davon profitieren Zuhälter, Menschenhändler und Sexkäufer. Die Demütigungen und der damit zusammenhängende Verlust der Würde machten zudem den Ausstieg schwer. «All das sind Faktoren, die die Frauen in der Prostitution halten, was dann oft als ‘Freiwilligkeit‘ verkauft wird. Dass diese Menschen in ihrem Trauma, in ihrem Schmerz und der Gewalt von Freiern, Zuhältern und Menschenhändlern gefangen sind, wird nicht gesehen. Sie sind in dem Gefängnis der Prostitution eingesperrt und unser Staat akzeptiert mit seiner Gesetzgebung ihre Gefangenschaft – anstatt zu versuchen, die Gefangenen zu befreien.»

«Staatlich tolerierter sexueller Missbrauch»
Niemand könne freiwillig auf die Menschenwürde verzichten, sagt Norak. Es sei die Pflicht des Staates, die Menschenwürde zu schützen und zu verteidigen. Gewalt und die Verletzung der Menschenwürde dürfe er nicht durch Liberalisierung an der falschen Stelle zulassen. Im Innersten wüssten alle, dass Prostitution die Menschenwürde schwer verletzt. «Für mich und die Frauen, die ich persönlich in der Prostitution kennenlernte, war die Prostitution schwere Gewalt und hochtraumatisch, was sich oft erst Jahre später zeigte. Was ich und andere in Deutschland mit seiner Gesetzgebung zur Prostitution erfahren haben, war staatlich tolerierter sexueller Missbrauch.»

«Das muss aufhören»
Mit Hilfe des Vereins «Sisters», der Prostituierte beim Ausstieg unterstützt, gelang Norak der Ausstieg. Sie hat das Abitur nachgeholt und studiert heute Jura. «Ich muss heute keine Gewalt mehr erleben. Aber ich werde nie vergessen, in welchem Leben ich war. Ich werde nie vergessen, was ich sechs Jahre lang in Deutschlands legaler Prostitution hinter verschlossenen Türen gesehen und erlebt habe. Und wir dürfen nicht vergessen, dass jeden Tag nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt, Hunderttausende Frauen in der Prostitution zugrunde gehen. Das muss aufhören.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

IBAN: CH 0309000000604575581