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Frauen sind in den Jahresprogrammen grosser deutschsprachiger Verlage untervertreten. © #frauenzählen

Literatur ist immer noch Männersache

fs /  Frauen zählten, wie hoch der Frauenanteil in den Programmen von Verlagen ist. Das Ergebnis passt nicht allen.

Unter dem irreführenden Titel «Literatur ist keine Männersache» kritisierte kürzlich Martin Ebel, Literaturchef beim «Tages-Anzeiger», eine Statistik. Sie zeigte, dass in den Jahresprogrammen grosser deutschsprachiger Verlage der Frauenanteil bei den Autorinnen und Autoren zwischen 13 und 50 Prozent liegt. Erstellt haben die Statistik die Literaturwissenschaftlerinnen Nicole Seifert und Berit Glanz.

Literaturchef disqualifiziert Fachfrauen
Statt die Untervertretung der Frauen in den Verlagsprogrammen zu thematisieren, macht sich Martin Ebel über die beiden Fachfrauen lustig: «Frauenzählen ist der neue Gesellschaftssport». Die beiden Literaturwissenschaftlerinnen würden «behaupten», «grummeln» und «kühne» Schlussfolgerungen ziehen – man muss sie also nicht ernst nehmen. Ebel schlägt eine andere Statistik vor. Man solle doch den Frauenanteil bei den Manuskripten erheben, die Agenturen und Verlagen eingesandt werden: «Hier wartet auf #frauenzählen eine dankbare Aufgabe.» Ebels Methode, Frauen zu disqualifizieren, ihre Arbeit zu relativieren und ihnen Ratschläge zu erteilen ist eine alte Taktik, um sie nicht ernst nehmen zu müssen.

Frauen sind selber schuld
Dabei haben die beiden Fachfrauen nur gemacht, was man von Frauen verlangt, wenn sie auf fehlende Pluralität hinweisen: Nämlich diese mit Zahlen und damit Fakten zu belegen. Doch wenn Frauen das machen, ist es auch nicht recht. Ebel: «Die Frauenzählerei zeugt, wie auch anderswo die Fixierung auf Zahlen statt auf Inhalte, von wenig Kulturverständnis. Wer zählt, muss nicht denken.» Die statistische Untervertretung habe «alle möglichen Gründe, sie sind weniger sexistischer als gesellschaftlicher, familiärer, individueller Natur», behauptet Ebel. Die Frauen seien also selber schuld, wenn sie im Literaturbetrieb auf weniger Gehör stossen.

«Weltliteratur» schreiben nur Männer
Mit dem Verweis auf das Grosse Ganze (Kultur) und der Individualisierung muss sich Ebel nicht mit Strukturen beschäftigen, die immer noch männlich geprägt sind. In der Literatur bestimmen seit jeher vor allem Männer, welche Inhalte als wichtig und damit publikationswürdig gelten. Als vor zwei Jahren die «Zeit» einen Kanon mit den 100 Werken veröffentlichte, die «jede und jeder kennen sollte», waren von den 100 Autorinnen und Autoren 91 Männer. Ende letzten Jahres hat die «Süddeutsche Zeitung» eine Bücherreihe «mit zehn Romanen der Weltliteratur» vorgestellt. Autoren sind ausschliesslich Männer. Fazit: Wenn eine Statistik auf die anhaltende Untervertretung der Frauen in der Literatur aufmerksam macht, kann dies nur für alle bereichernd sein: Für Männer, Frauen und vor allem für die Literatur.


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